Page 66 - Best_of_StGallen_8_2020
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Was sich im Kopf abspielt, ist entscheidend.
Text und Interview: Janine Tschopp Foto: Mario Gaccioli
Nina Stadler ist Profi-Tennisspielerin. Die 25-Jährige liebt ihren Job, auch wenn viel knochenharte Arbeit dahintersteckt.
Nina Stadler, welcher war Ihr Berufs- wunsch als Kind?
Uiihhhhhh. Einen gezielten Wunsch hatte ich nicht. Ich begann zwar schon mit fünf Jah- ren Tennis zu spielen, dachte damals aber noch nicht, dass dies mein Beruf werden könnte. Ich spielte halt einfach gerne Ten- nis. Dass ich nun Pro -Tennisspielerin bin, hat sich so entwickelt. Ich habe dieses Ziel nicht krampfhaft, sondern verbunden mit viel Spass verfolgt.
Warum haben Sie sich als Kind ausge- rechnet fürs Tennisspielen entschieden? Meine Eltern waren im Tennisclub, beim TC Gähwil, und nahmen uns Kinder oftmals mit auf den Tennisplatz. Dann begann ich, ein- mal pro Woche beim Clubtrainer zu spielen. Später ging ich zweimal pro Woche zu einem anderen Trainer. Ein Bekannter meiner El- tern nahm mich später zu einem Sichtungs- training bei Ralph Zepfel mit, da er fand, dass ich ein bisschen besser spiele als der Durchschnitt. So kam ich zu Ralph Zepfel nach Kreuzlingen. Seit nun drei Jahren trai- niere ich mit Tobias Klein und Christian Klein zusammen, welche Trainer an der NET Ten- nis Academy in Kreuzlingen sind.
Zu Juniorenzeiten waren Sie schweizweit eine der Besten.
Ja, das stimmt. Im Jahr 2006 wurde ich ins dezentrale Swiss Tennis Nationalkader selektioniert.
Haben Sie Schule und Sport immer gut unter einen Hut gebracht?
Als der Trainingsaufwand immer grösser wurde, entschied ich mich, die weiteren Schuljahre an der Nationalen Elitesport- schule Thurgau zu absolvieren.
Sie haben auch einen Lehrabschluss absolviert?
Ja, am Sport-KV in Kreuzlingen. Dort hatte ich die Möglichkeit, den Tennissport mit meiner kaufmännischen Ausbildung optimal zu kombinieren.
Was geschah nach dem Abschluss?
Seit Anfang 2017 setze ich voll auf die Karte Tennis. Ich durfte Sponsoren gewinnen und immer mehr Turniere im Ausland spielen.
Können Sie gut leben vom Tennisspielen?
Nur von den Preisgeldern könnte ich nicht leben. Hauptsächlich lebe ich von Spon- sorengeldern, die ich für meine Auslagen einsetzen kann. Da ich noch daheim wohne, habe ich für Kost und Logis keine Ausgaben.
Aktuell stehen Sie auf der Weltrangliste im Einzel auf Rang 591 und im Doppel auf Rang 432. Welches sportliche Ziel haben Sie?
Anfang des Jahres habe ich mir die Top 400 der Welt als Ziel gesetzt. Aufgrund der Co- ronakrise wird es schwierig, das Ziel dieses Jahr noch zu erreichen, da seit März keine internationalen Turniere mehr stattfanden. Langfristig möchte ich mich für ein Grand Slam Turnier quali zieren, dafür müsste ich unter den Top 200 sein.
Im Oktober werden Sie 25. Meinen Sie, dass Sie noch genug Zeit haben werden, Ihre Ziele zu erreichen?
Die Tendenz ist, dass Pro -Tennisspieler heute ein bisschen älter sind im Vergleich zu früher. Gerade bei den Herren gibt es viele Top-Spieler über 30. Jeder macht seinen Weg auf seine Art. Aber sicher, der Körper wird mit dem Alter nicht frischer (lacht).
Ja, zum Beispiel Roger Federer. Er ist 39 Jahre alt. Worauf kommt es an, ein Aus- nahmetalent wie Federer zu sein?
Man muss konstant und mental stark sein und zum richtigen Zeitpunkt die beste Leis- tung abliefern. Was sich während einer Be- gegnung im Kopf abspielt, ist entscheidend. Aber auch Roger Federer passiert es, dass er einen Wimbledon-Final nach ein paar Matchbällen verliert.
Ist es hart, Profi-Tennisspielerin zu sein?
Einerseits ist da sicher die tägliche körperli- che Belastung. Andererseits muss man, wie gesagt, auch mental stark sein. In einem Spiel ist man vollkommen auf sich selbst gestellt. Ich belaste mich aber gerne und erlebe gerade eine sehr gute Lebensschule.
Egal, was ich nach meiner Tenniskarriere machen werde: Ich weiss, dass ich durch- beissen kann. Das habe ich im Sport gelernt. Auch habe ich gelernt, mit Emotionen, zum Beispiel der Nervosität vor einem Spiel, um- zugehen. Beim Sport erlebt man Herausfor- derungen, die man später im Berufsleben wahrscheinlich nicht mehr haben wird.
Was sind bisher Ihre grössten Erfolge?
Als Juniorin erreichte ich an der U18-EM den Viertel nal. Auf der ITF-Tour holte ich bisher einen Einzel- und zehn Doppeltitel. Und letztes Jahr habe ich den Nationalliga A-Titel mit dem TC Chiasso gewonnen. Das war ein sehr schöner Moment, zusammen mit Teamkollegen erfolgreich zu sein.
Wer ist Ihr Idol?
Auf jeden Fall Roger Federer.
Warum?
Er ist eine Persönlichkeit, die so viel erreicht hat und trotzdem auf dem Boden bleibt und weiterhin an sich arbeitet.
Wie können Sie sich noch verbessern?
Ich dürfte auf dem Platz noch ein bisschen lockerer werden und mehr Geduld mit mir selbst haben. Körperlich bin ich sehr  t, kann aber an meiner mentalen Stärke noch etwas arbeiten.
Da wären wir schon wieder bei diesem Stichwort.
Ja, darauf kommt es einfach an. Auf einem gewissen Niveau können alle sehr gut Ten- nis spielen, aber viele Spieler haben das Problem, dass der Kopf manchmal nicht mitmacht. Dafür gehen wir ja auch ins Men- taltraining. Beruhigend ist, dass viele meiner Kollegen mit ähnlichen Problemen zu kämp- fen haben. Perfektion gibt es im Sport nicht. Das wäre ja auch langweilig, denn es gäbe überhaupt keine Überraschungen mehr.
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