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Die viel zu grosse Gitarre hat schon einen Hausbrand überlebt Text und Interview: Rahel Hegglin Fotos: Simon Habegger Lara Stoll ist eine erfolgreiche Slam- Poetin, Musikerin, Filmemacherin, Au- torin und Schauspielerin. Sie ist ein Tausendsassa, den man nicht in eine Schublade schieben kann. Dass sie als Künstlerin ihr Geld verdienen würde, war so nicht geplant. Du hast lange nach dem Lehrerseminar noch einen Bachelor in Film und Regie gemacht. Wieso das? Ich habe an der PMS lediglich die Matur gemacht, das Medium Film hat mich schon immer sehr interessiert. Nach einigen Jah- ren in der Selbstständikgeit dachte ich, es wäre vielleicht doch noch gut, ein Studium zu absolvieren. Seither mache ich neben der Kleinkunst auf der Bühne mit meinem Kollektiv «Bild und Ton» verschiedene Film- projekte. Das sind meistens alternative low-budget Produktionen, immerhin waren wir letztes Jahr aber für den Schweizer und Zürcher Filmpreis nominiert. Das heisst, Du kannst von den Filmen leben? Nein, ich finanziere mein Leben durch die Bühnenauftritte. Ich schaue da auf ein ver- trägliches Mass. Ich bin interessanterweise eben gar nicht so eine Rampensau, wie man vermuten könnte. Ich gebe viel auf der Bühne, danach muss ich die Batterien wie- der aufladen. Ein kleines Sensibelchen. Waren das Filmemachen und die Bühne immer Dein Ziel? Nein, nach dem Semi habe ich in den Medien angefangen. Zuerst war ich Prakti- kantin beim Schweizer Musiksender VIVA, und später arbeitete ich bei Tele Top als VJ. Bin also fast in den Journalismus abge- driftet. Nebenbei habe ich aber an Poetry- Slams teilgenommen und schliesslich auch Meisterschaften gewonnen. Ich hatte immer viel Ausschuss beim Schreiben, darunter waren aber auch immer ein paar Hits. Wie meinst Du das mit den Hits? Hittige Texte, könnte man sagen. Einfach solche Texte, die beim Publikum besonders gut angekommen sind. Dazu zählt beispiels- weise die uralte Trekker-Story «Weshalb ich manchmal gerne ein John Deere Traktor 7810 Powershift mit Gewicht in der Front- hydraulik wäre». Ich glaube, damit habe ich damals sogar in Frankreich die Europameis- terschaften gewonnen, ziemlich surreal. Dich kann man für fast alle Anlässe buchen. Ausser für Hochzeiten nicht. Weshalb? Das hat sich einfach als nicht so sinnvoll herausgestellt. Eine Hochzeit ist etwas sehr Intimes, gerade wenn ich die Leute natürlich nicht kenne, und dann sitzen da der Opa und die Oma und der Onkel Sigi und Tante Helene und verstehen überhaupt nicht, wieso ich jetzt eine Geschichte übers Schnarchen erzähle. Da gehe ich lieber Geburtstagsfeiern und Firmenanlässe auf- mischen. Du begleitest Dich auf der Bühne mit ei- ner ziemlich grossen Gitarre. Wieso das? Die Leute fragen oft: «Hast du wieder diesen Kontrabass dabei?» Ja, das Ding ist wirklich etwas gross für mich. Eine halbakustische Westerngitarre, die dafür aber super klingt! Ich habe sie vor einer Ewigkeit von Freun- dinnen geschenkt bekommen. Sie hat sogar einen Hausbrand überlebt. Ich glaube, diese Gitarre ist unverwüstlich und wird für immer an meiner Seite bleiben. Ich begleite mich auf der Bühne, um das Programm ein biss- chen aufzulockern. Man kann dem Publikum nicht 90 Minuten Text um die Ohren hauen. Ist es anders, im Kanton Thurgau aufzu- treten als in anderen Kantonen? Wenn ich im Thurgau spiele, kommen immer recht viele Leute. Ich bin hier aufgewachsen und bekannter. Ich muss sagen, im Thurgau habe ich immer sehr schöne Auftritte. Wahr- scheinlich werde ich auch meine Premiere im Herbst in Weinfelden machen. Für die SRF Advent-Serie «Advent, Ad- vent» wurdest Du für die Hauptrolle enga- giert. Worum geht es bei der Kurzserie? Es ist eine ziemlich trashige Polizeikomödie. Ich spiele eine verkaterte, hässige Polizei- Kommissarin mit einem Alkohol- und Dro- genproblem. Immer wenn sie Drogen nimmt, erscheint ihr verstorbener Polizeikollege. Dieser hilft ihr dann, die skurrilen Fälle zu lösen. Mir hat die Rolle wahnsinnig gefallen. Es war auch mal schön, nicht die Verantwor- tung für den Film zu tragen. Ich musste mich nur auf meine Rolle konzentrieren. Welches ist Dein nächstes Filmprojekt, das Du realisierst? Das ist eine Art «Tatort» mit Patrick Frey in der Hauptrolle. Der Film heisst «Wer hat die Konfitüre geklaut?» und wird wahrscheinlich 2021 in die Kinos kommen. Gibt es weitere Zukunftspläne? Ich habe absolut meine Berufung gefunden. Mir gefällt der Ausgleich zwischen Film, Mu- sik und Bühne sehr. Ich fühle mich unheim- lich privilegiert, dass ich damit mein Leben finanzieren kann.   1241 


































































































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