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Kunst auf Rädern
Text: Anicia Kohler
Foto links: Stefan Schärer Foto rechts: Silvia Oberhänsli
Mit Velos kann man mehr als nur Stre- cken fahren – das beweist das Quartett CYCLINGformation. Die vier Thurgau- erinnen holten unter anderem dreimal Gold und zweimal Silber an den Kunst- rad-Weltmeisterschaften. Heute treten sie an Events auf und möchten Kinder und Erwachsene für ihren Sport begeistern.
Melanie Stahel, Ihr alle trainiert schon seit fast zwanzig Jahren Kunstrad. Wie kam es dazu?
Ich habe ein Schnuppertraining im Rad- fahrerverein Sirnach gemacht, und fand es mega cool – turnen auf dem Velo! Ein halbes Jahr später stieg auch meine Schwester ein. Und Céline und Flavia lernten wir ebenfalls im Verein kennen. Seit 2008 fahren wir als Quartett, und bis 2018 waren wir als Leis- tungssportlerinnen aktiv. Heute sind wir mehr im Showbusiness unterwegs und trai- nieren die Nachwuchsfahrer des Radfahrer- vereins Sirnach.
Was muss man als Kunstradfahrerin mitbringen?
Es braucht schon eine Körperschule. Aber das Wichtigste ist, keine Angst vor dem Runterfallen zu haben. Man fällt tau- send Mal um, bevor man etwas wirklich beherrscht. Dabei passiert selten etwas Schlimmes, aber die Arme und Beine sind permanent blau (lacht). Aber das gehört halt dazu, man muss einfach aufstehen, weiterfahren und immer wieder probieren! Es hilft auch, wenn man zielstrebig und ge- duldig ist. Man trainiert sehr lange für ein Kunststück.
Wie stellt man eigentlich eine Choreogra- phie für einen Wettkampf zusammen? Eine Kür – ein Ablauf an einem Wettkampf – dauert fünf Minuten. Innerhalb dieser fünf Minuten kann man 25 Bilder – die eigent- lichen Kunststücke – zeigen. Diese Bilder sind im Reglement genau beschrieben und haben jeweils eigene Punktewerte. Jetzt, wo wir nicht mehr Wettkämpfe fahren, son- dern Shows, sind wir natürlich viel flexibler und können auch spontan auf das Publikum eingehen.
v. l. n. r.: Jennifer Schmid, Céline Burlet, Flavia Zuber und Melanie Stahel
 Wie hat es sich für Euch angefühlt, Welt- meisterinnen zu werden – und das gleich dreimal?
Es war schon sehr speziell! Man kann es gar nicht richtig beschreiben. Man hat seit Jah- ren auf dieses Ziel hin trainiert. Und wenn man gewinnt, fällt der ganze Druck auf ei- nen Schlag von einem ab. An dieses Gefühl gewöhnt man sich nie. Der Druck und die Anspannung sind jedesmal gleich. Beson- ders cool war es, weil man es uns nicht zu- getraut hatte, zumindest am Anfang, weil immer klar war, dass Deutschland die füh- rende Kunstrad-Nation ist. Viele dachten, ja ja, trainiert erst mal! Aber als wir 2012 Europameisterinnen wurden, wussten wir, dass wir alles schaffen können, wenn wir an uns glauben, sehr viel trainieren und wirk- lich alles geben. Es gab uns das Gefühl: Alles ist möglich.
Das hat Euch vier sicher auch stark zusammengeschweisst.
Ja, definitiv. Uns verbindet wohl mehr als eine normale Freundschaft. Wir haben so intensiv trainiert, wir wollten einfach gewin- nen. Die Schule war häufig eher eine Ne- bensache! Auch aus Tiefen sind wir immer gut herausgekommen. Wir haben uns zu- sammengesetzt und es gemeinsam gelöst.
Ihr schreibt auf Eurer Website, dass Ihr das Kunstradfahren bekannter machen möchtet. Ist dies nun Euer Antrieb, jetzt, wo Ihr keine Wettkämpfe mehr bestreitet? Ja, das ist unsere Leidenschaft. Wir finden, es sollten möglichst viele Leute vom Kunst- rad erfahren. Klar, es ist eine Randsportart. Aber eine tolle! Es ist eine Mischung aus Körperbeherrschung, Kraft und Eleganz.
Eure Shows sind ganz unterschiedlich, und Ihr arbeitet auch mit internationalen Künstler*innen zusammen. Seid Ihr für alles offen?
Absolut! Hauptsache neu und herausfor- dernd. Wir hatten zum Beispiel eine Show mit einer Ballerina und einem Einerkunst- radfahrer aus Deutschland. Innert kürzester Zeit stellten wir eine Choreographie auf die Beine und zeigten sie auf der Bühne. Das war ein tolles Gefühl.
www.cyclingformation.ch www.rvsirnach.ch
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