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  «Geschichten gären bei mir oft sehr lange»
Text: Regula Elsener Steinmann Fotos: Claudia Herzog
Mit ihr übers Schreiben zu sprechen, ist ein Genuss: Die Frauenfelder Schriftstel- lerin Tanja Kummer erzählt nicht einfach – sie formuliert, fabuliert und benutzt da- bei immer wieder in Vergessenheit gera- tene Worte.
Genauso wie in ihrem Buch «Bigoscht – Gschichte & Gedicht». Darin findet man – und das ist ebenso ungewöhnlich wie reiz- voll – viele Mundartpassagen. Die Gedichte sind sogar vollständig im Thurgauer Dialekt verfasst. Es ist ihr mittlerweile 10. Werk. Für ihre Kinder- und Erwachsenenbücher wurde sie in der Vergangenheit mehrfach ausge- zeichnet, u.a. mit dem Lyrikpreis der Stadt Winterthur.
Kummer ist gelernte Buchhändlerin und ar- beitet nach wie vor Teilzeit in ihrem Beruf. Aus Leidenschaft: «Hier bin ich umgeben von Büchern, was gibt es Schöneres?» Nach der Medienschule in St. Gallen arbeitete sie u. a. beim Schweizer Radio und Fernsehen. Sie ist zudem diplomierte Erwachsenenbild- nerin und Schreibtherapeutin.
Wie sehr ihr die Sprache am Herzen liegt, zeigen auch ihre Spoken Word-Auftritte: Hier werden Worte nicht nur gelesen, son- dern regelrecht gelebt. Oft auch mit Musik.
Aber jetzt müssen wir «bigoscht nomol» über ihre alte Heimat sprechen: Dieser wid- mete sie 2013 bereits den Geschichtenband «Alles Gute aus dem Thurgau». Moment: Musik und Thurgau – das ist doch die per- fekte Einstiegsfrage!
«Oh Thurgau, Du Heimat – wie bist Du so schön ...» Wie geht’s weiter?
Oh, jetzt haben Sie mich erwischt! (Sie be- ginnt das Lied leise vor sich hin zu singen) Irgendwas mit Hügel und Höh’n?
Nicht schlecht! «Dir schmücket der Sommer die Täler und Höh’n!»
Zumindest habe ich schön gesungen, oder? (Lacht) Ich kann das Lied nicht auswendig, aber wenn ich es ab und zu mal im Wunsch- konzert höre, rührt es mich jedes Mal. Da werde ich fast etwas melancholisch.
Woher kommt diese Verbundenheit?
Ich verbrachte meine Kindheit und Ju- gend in Frauenfeld, machte die Lehre in der Buchhandlung Huber – diese Region und ihre Menschen haben mich geprägt. Zudem war ich ja nie weit weg. Heute lebe ich in Kloten, aber bin und bleibe eine Thur- gauerin. Das hört man spätestens, «wenn i s Muul ufmach».
In Ihrem neuen Buch findet man gar Mundart-Gedichte: Ich stelle mir vor, wie Sie auf einem Hügel des Seerückens ste- hen oder vom Arenenberg das Glitzern des Bodensees betrachten, tief Luft holen und dies dann in Worte fassen. Richtig? (Lacht) Nicht ganz! Aber tatsächlich sind Wanderungen der Ursprung vieler Texte. Manchmal ist es eine Frage, die mich be- schäftigt. Oder «de Gwunder», warum etwas ist, wie es ist. Beim Wandern oder Spazieren bekommen solche Gedanken den nötigen Raum.
Sie gehören offenbar zu den wenigen Menschen, die abschalten können ...
Ich richte mir solche Phasen bewusst ein. Klar, die ständige Unterhaltung ist bequem. Auch ich finde Kanäle wie Facebook und Instagram toll. Aber ich habe gelernt, mich abzugrenzen. Es muss doch auszuhalten sein, mal ohne das Handy in den Wald zu gehen!
Ihre Geschichten sind zwar nicht auto- biographisch, aber steckt nicht doch sehr viel von Ihnen drin?
Der Kern oder ursprüngliche Gedanke hat durchaus oft mit mir zu tun. Etwa: Ich gehe und gehe und frage mich beim Gehen: Wel- cher Gang in meinem Leben war eigentlich der wichtigste? Danach lasse ich der Fanta- sie aber freien Lauf. Und ganz wichtig: Ge- schichten brauchen Zeit. Die gären bei mir oft sehr lange.
In kleinen Kartonschachteln in
Ihrer Küche.
Was Sie alles wissen! (Lacht) Ja, in einer Schachtel warten alle spontanen Ideen, in der zweiten potenzielle Namen für Prota- gonistinnen und Protagonisten und in der dritten Mundart-Ausdrücke, die ich sonst womöglich wieder vergesse. (Kurze Pause) Ich rede wahnsinnig gerne übers Schrei- ben, wie Sie merken!
Für andere ist Schreiben der Horror. Was können Sie da mit Ihren Kursen bewirken? Die Teilnehmenden sollen sich getrauen, frei zu fabulieren. Ohne konkretes Ziel. Ohne Druck. Und vor allem ohne Vergleiche! Sie lernen, locker mit der Sprache umzugehen und ihren persönlichen Ausdruck zu finden. Bei grosser Anspannung kann kreatives Schreiben ein sehr hilfreiches Mittel zur Entlastung sein. Oder auch einfach «zum de Chopf durelüftä».
Zum Schluss: Sie sagten 2020, dass Sie die Corona-Pause nutzen wollen, um endlich Ihren Liebesroman voranzu- bringen ... Wie sieht es aus?
(Lacht) Ich bin stetig dran. Im Moment über- lege ich gerade an einem Magic-Moment herum. Ich möchte einen Part einbauen, der ein wenig mystisch-surreal ist. Mal schauen, wo das hinführt.
Aber irgendwann werden wir ihn lesen?
Ich hoffe es! www.tanjakummer.ch
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