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 Das Wunder von Tokio und mehr
Text und Interview: Maximilian Marti Fotos: @specialized Michal Cerveny Photo
Wer an den Olympischen Sommerspie- len 2021 in Tokio den Dreifachsieg der Schweizer Frauen beim Mountain-Bike- Rennen (Cross-Country) auf der Strecke in Isuzu miterlebt hat, musste unweiger- lich an den Wahlspruch der drei Mus- ketiere denken: «Einer für alle, alle für einen!» Mit ihrer spektakulären Leistung zeigten die drei Athletinnen nicht nur, was Teamgeist zu bewirken vermag, sie schrieben auch grosse Sportgeschichte: Seit nunmehr 85 Jahren gab es an Olym- pischen Spielen keinen Schweizer Drei- fachsieg mehr, und für Frauen ist es der erste solche überhaupt. Eine der siegrei- chen trois Mousquetaires ist die Zürcher Sportlerin Sina Frei.
Seit sie 2009 ihr erstes Rennen bestritt, weist ihr Palmarès zahllose Siege, Meister- titel, Podestplätze, Top-Resultate und Eh- rungen aus, jetzt gekrönt von Olympia-Silber und, kaum zu glauben, kurz darauf oben- drein mit dem WM-Titel im Short-Track und der Bronzemedaille im WM-Cross Country! Im Short-Track wurden am 26.08.2021 in Val di Sole (I) zum ersten Mal Medaillen vergeben, und die 24-jährige Zürcherin aus Uetikon am See holte sich die goldene. Mit gerade Mal 1,51m Grösse, aber einem ei- sernen Willen und ihrem Wahlspruch «nie aufgeben, immer nach vorne schauen» hat Sina sich offenbar alles erarbeitet, was Sie- gertypen ausmacht.
Sina, wann fing Deine sportliche
Karriere an?
Als Zwölfjährige kam ich zum Mountain- Bike Sport, weil ich meinem Vater und Bru- der nacheifern wollte. 2009 fuhr ich meine ersten Rennen, mit mässigem Erfolg. Der erste Sieg gelang mir erst 2011, das war in Egg. Kurz darauf kam der Ruf in die Natio- nalmannschaft, 2013 konnte ich in den Dis- ziplinen Strasse, Cyclocross und Mountain- bike gewinnen und wusste, dass ich meine Berufung gefunden hatte. Eine vierjährige Ausbildung an der UNITED school of sports in Zürich erlaubte mir, eine solide Grundlage aufzubauen, um vorne mit dabei zu sein.
Was ist passiert, seit Du mit Silber aus Japan zurückkamst?
Erst mal war ich, nicht als Einzige, wie in Trance. Ich konnte kaum glauben, was wir da zustande gebracht hatten. Dazu kamen die Eindrücke dieser anderen Kultur, die an- dersartige Landschaft, unser Team-Leben, die Vorbereitungen, das Publikum, der Sup- port unserer Fans und schliesslich dieses erstaunliche Resultat – alles vermischte sich zu einem Kaleidoskop an Gedanken, die erst mal wieder geordnet sein wollten.
Dann kam der Empfang in Kloten ...
Ja, als wären wir nicht schon euphorisch genug geween, wurden wir von unseren Familien, Freunden, Sponsoren und Fans jubelnd und stürmisch begrüsst und gleich vor Ort tüchtig gefeiert. Anschliessend gab es für den engeren Kreis, Sponsoren und Medien einen offiziellen Empfang mit Apéro, erst danach ging’s auf den individu- ellen Heimweg. Es folgte ein Empfang der Gemeinde, und Weltklasse Zürich wollte ich auch besuchen. Allzu lange konnte ich mir allerdings keine Auszeit gönnen, mein nächstes Ziel, die Weltmeisterschaft in Ita- lien mit zwei Rennen, stand vor der Tür und damit die nächste Herausforderung. Nun, offenbar habe ich die Sache richtig gemacht und konnte zufrieden nach Hause kommen.
Hast Du einen bestimmten Trainingsplan?
Nicht in Stein gemeisselt, dafür sind die Anforde- rungen in den verschie- denen Disziplinen zu vielseitig. Ich glaube an ein intuitives Training – ich fühle und spüre, wo- ran ich aus gegebenem Anlass arbeiten muss, um das nächste Ziel zu erreichen.
Machst Du Mentaltraining?
Ich höre auf mich selber und auf die Kritik meines Trainers, meiner Familie und meiner Freunde. So
kann ich auf einen Fundus zurückgreifen, dem ich vertraue. Bisher hat das recht gut funktioniert.
Was ist Dein nächstes Ziel?
Die Saison 2021 war zufriedenstellend. Ich habe das erreicht, worauf ich trainiert hatte, sogar ein bisschen mehr. Jetzt gilt es, die gewonnen Erkenntnisse, wo noch Raum zur Verbesserung ist, umzusetzen und so in mein Trainings-System einzubauen, dass mir die Saison 2022 dieselben Chancen ge- ben wird, die ich in diesem Jahr bekam.
Wie schaffst Du es, eine Saison lang in solcher Hochform zu bleiben?
Ich denke, das ist sehr individuell. Mir hel- fen, wie schon gesagt, ein dem Bedarf an- gepasstes Training, sinnvoll genutzte Ruhe- phasen, eine gute Portion Ehrgeiz und eine Prise Selbstvertrauen. Natürlich spielt auch das Umfeld eine grosse Rolle, die Zuwen- dung meiner Familie und Freunde, der Sup- port meiner Fans, das Engagement meiner Agentur und das Vertrauen meiner Sponso- ren in mich. Ihnen allen danke ich ganz innig dafür, dass sie mich bis hierher gebracht ha- ben und hoffentlich weiter begleiten werden.
«Nie aufgeben, immer nach vorne schauen»
sinafrei.ch geigele.com
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