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 Den Unterschied zwischen Comedy und Satire erfahren Sie hier
Text und Interview: Maximilian Marti Fotos: zur Verfügung gestellt
Seine Kindheit verbrachte er im Thur- gauischen Schlattingen, mutierte zum Schaffhauser, weiss nach Studien-Auf- enthalten in Basel und Bern vieles über Jura und noch mehr über Theaterwissen- schaft, widmet sein Leben der humoris- tischen Kunst, wühlte professionell im Güsel, sorgt sich um bedrohte Spezies, stellt vieles in Frage und ins rechte Licht und darf seit 2009 als jüngster Kabaret- tist den Salzburger Stier reiten. Sattel- fest in vielen Humor-Disziplinen, gehört er zur Elite des helvetischen Humor- Schaffens: Gabriel Vetter.
Sie sind Slam-Poet, Comedian, Kabaret- tist, Satiriker, Autor und einiges mehr. Welches dieser Personen-Formate ist Ihr Favorit?
Da muss man erstmal ausbeinlen, wo die Unterschiede liegen, sprich wo der Co- median aufhört und der Satiriker beginnt. Es gibt ja die schöne alte Binsenweisheit über die Frage, was der Unterschied sei zwischen einem Comedian und einem Sa- tiriker. Antwort: Der Comedian macht es wegen dem Geld – der Satiriker macht es wegen des Geldes. Am liebsten mag ich tatsächlich das Autor-Sein, das Schreiben. Wobei, so ganz stimmt das auch nicht, ich finde Schreiben äusserst mühsam, es ist anstrengend, frustrierend und einsam. Aber es ist auch wirklich das, was mir am Ende am meisten Freude macht – wenn man denn mal fertig ist damit. Beim Schreiben fühle ich mich auf der Plattform Twitter am frei- sten. Was an sich interessant ist, weil man es ja ausgerechnet dort mit sehr strikten Einschränkungen zu tun hat.
Was erlauben Sie dem Schreiber,
was die anderen nicht dürfen
(oder zu tun vermögen ...)?
Dem Twitterer Gabriel Vetter auf der Platt- form Twitter alles. Gerade weil die Plattform so eng gestrickt ist und so direkt aus den Synapsen der Menschen in die Welt hin- aussendet, ist sie so spannend. Dort kann ich neue und neuartige Witze ausprobieren,
dort lässt sich nach Lust und Laune mit Ebenen, Erwartungshaltungen, Tabus und Dummheiten spielen, dass es nur so eine Freude ist. Twitter ist deswegen für Humor- schaffende so interessant, weil es keine Regeln gibt, bzw. jeder und jede seine ei- genen Regeln definiert hat, damit aber im selben Space wie Millionen andere Leute mit wieder jeweils eigenen Regeln fuhrwer- ken muss. Das ist ein absolut fantastisches «Spiel mit Verunsicherungen». Auf Twitter kann man regelmässig die Erwartungen de- rer brechen, die in der vermeintlich gleichen Bubble sitzen wie ich. Und etwas Schöne- res kann ich mir einfach nicht vorstellen.
Was steht auf den Beipack-Zetteln zu Ihren unterschiedlichen Aktivitäten?
Egal welches Stilmittel ich benütze, meine Botschaft ist immer: Vielleicht ist es so, vielleicht auch nicht, ich weiss es auch nicht, aber vielleicht können wir gemein- sam darüber nachdenken und zusammen keine Ahnung haben. Dann passiert immer Interessantes.
Sie Touren in der Schweiz, in Deutsch- land und Österreich – wo sehen Sie die markantesten Unterschiede, die Reak- tion des Publikums, dessen Erwartungs- haltung und Ihr Auftreten betreffend?
Die Schweizer sind so harmoniesüchtig wie passiv-aggressiv, aber dann doch wieder sehr herrlich anarchistisch. In Deutschland herrscht eine Art Folklore des Humors, der sich durch Wiederholung des Bekannten manifestiert, wie eine immer wiederkeh- rende Gemüsesaison. Die Österreicher finde ich durchs Band unberechenbar. Was sie a priori gut kompatibel macht mit mei- nem Humor.
Was hat die Corona-Solitude
Ihnen abverlangt?
Ich habe sehr viel Zeit mit meiner Familie verbracht, ich war viel im Wald, ich habe sehr viel Geld verloren bzw. sehr viel nicht verdienen dürfen, und schliesslich absol- vierte ich etappenweise einige Kilometer zu Fuss, nämlich jedes Mal, wenn ich die Maske vergass und umdrehen musste, um das Scheissding zu holen.
Was hat sie Ihnen gebracht?
(Nicht die Maske – die Solitude)
Zu Beginn die Einsicht, dass wir alle unfrei- willig im gleichen Boot hocken. Mittlerweile die Einsicht, dass das Boot eine erste, eine zweite und eine Holzklasse hat, dass wir sinken, dass zu wenig Rettunsgboote da sind und dass die Kappelle leider aufhören musste zu spielen.
Sie lebten zwei Jahre in Norwegen.
Was von der Schweiz haben Sie dort vermisst?
Im Winter: das Tageslicht. Im Sommer: den Rhein mit 22 Grad Wassertemperatur. Und sonst: frisches Gemüse, gutes Obst.
Was fehlt Ihnen hier von dort?
Die lockere Gelassenheit Skandinaviens ist etwas, das der Schweiz wirklich fehlt. Man merkt erst im Ausland, wie grundnervös, ängstlich und zitterig die Schweiz immer und überall ist.
Was ist für Sie die grösste Herausforde- rung als Hausautor am Theater Basel? Einen Text an die Regie abzugeben kostet mich, als konzipierte Ein-Mann-Show, je- weils eine riesige Überwindung. Es ist, als müsste man ein Kind weggeben, das man zu seiner Bestform geführt hat.
Woran arbeiten Sie zurzeit? Ist bereits ein Tour-Plan in der Schublade?
Ich habe nie irgendwelche Pläne, ge- schweige denn eine Schublade. In progress: ein Fotobuch, eine Kunst-Ausstellung, eine TV-Serie, ein Kinderbuch, ein Sachbuch, diversen TV-Formate, ein Wissenschafts- Podcast und ziemlich viele Tweets. Ich habe zu viele Ideen und mache alles im- mer gleichzeitig, aber das hält frisch, so stirbt man wenigstens irgendwann müde. Am liebsten würde ich nur Walderdbeeri zu Konfi einkochen, aber damit lässt sich die Miete nicht bezahlen.
Was geben Sie uns mit auf den Weg?
Einen kleinen Denkanstoss: Es ist nicht leicht, Mensch zu sein. Seid gütig, seid freundlich, habt Verständnis, und macht anderen Leuten das Leben nicht unnötig noch schwerer, als es eh schon ist.
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