Page 81 - Bo_Zuerich_10F
P. 81

 In der Oper am Hebel
Text und Interview: Anicia Kohler
Fotos: AK Berlin Photo (links), Herwig Prammer (rechts)
Nina Russi ist preisgekrönte Opern- regisseurin und in ganz Europa unter- wegs. Im Gespräch erzählt sie, wie tief sie ein Besuch im Musical Cats beein- druckt hat – und warum sie lieber hinter der Bühne am Steuer statt als Darstelle- rin auf der Bühne steht.
Woher kommt Deine Leidenschaft für’s Musiktheater?
Das hat schon als Kind angefangen. Mit etwa zehn habe ich mit meinen Eltern Cats gesehen. Davon war ich total begeistert! Von da an war ich überzeugt, dass ich so- was auch machen möchte. Es war mehr als einfach mal Ausprobieren – ich wollte das von da an einfach. Vorher war ich gar nicht das typische Ballettmädchen, im Gegenteil, ich habe Schlagzeug gespielt. Dann habe ich gemerkt: Wenn ich wirklich in diese Richtung gehen möchte, dann muss ich tanzen, singen und schauspielern lernen. Meine armen Eltern (lacht).
Was haben sie denn dazu gesagt, Deine Eltern?
Sie haben mich immer unterstützt und al- les für mich gemacht, auch wenn sie nicht genau wussten, worauf sie sich einlassen. Ich komme nicht aus einer Theaterfamilie. Mein Vater zum Beispiel arbeitete über vier- zig Jahre lang bei der SBB.
Wie ist es danach für Dich weitergegangen?
Ich habe das Handwerk von der Pike auf ge- lernt und stand zuerst selber auf der Bühne. Ich dachte immer, das sei mein Traum, auf der Bühne zu stehen – aber als ich dann dort war, habe ich realisiert, dass mich das grosse Ganze, das Räderwerk, viel mehr in- teressiert als dieser Moment, wo eine ein- zelne Person auf der Bühne etwas macht. Als mir jemand gesagt hat, dass ich dann in die Regie müsse, habe ich angefangen Praktika – sogenannte Hospitanzen – an ganz verschiedenen Theatern in Europa zu machen, und habe mich dann langsam hochgearbeitet.
2007 hast du zum Beispiel als Regieassis- tentin am Opernhaus Zürich angefangen.
Genau. Ich war damals noch sehr jung und es war eine grosse Ehre für mich, an einem so weltberühmten Haus arbeiten zu dürfen. Später konnte ich dort eigene Regiearbeiten machen – häufig bekommt man zuerst eine Kinderoper, und dann etwas Zeitgenössi- sches. In der nächsten Spielzeit werde ich eine grosse Barockoper inszenieren. Das ist eine grosse berufliche Chance und ich freue mich riesig.
Du bist so viel unterwegs – hast Du eigentlich noch einen fixen Wohnort?
Oh ja zum Glück, ich wohne in Zürich (lacht). Vom ersten Probetag bis zur Premiere dau- ert es in der Oper eigentlich immer genau sechs Wochen. In dieser Zeit bin ich vor Ort und gehe nicht nach Hause. Davor gibt es einzelne Termine, zum Beispiel um das künstlerische Team zu treffen und das Bühnenbild zu besprechen, aber die sind flexibel planbar. Meine ganze persönliche Vorbereitung erledige ich zuhause. Das gibt eine schöne Mischung – man ist immer wieder woanders und lernt Städte recht gut kennen. Aber man hat auch ein Zuhause.
Aktuell inszenierst Du gerade La Traviata von Giuseppe Verdi in St. Gallen. Darin geht es um eine kranke Frau, die von der Gesellschaft verstossen wird. Wie machst Du es, dass so eine alte Geschichte die Menschen von heute anspricht?
La Traviata ist topaktuell! Es geht um eine starke, mutige Frau – ich sehe sie als Ge- schäftsfrau in einem ungewöhnlichen Busi- ness. In unserer Version haben wir das noch ein bisschen gepusht, sie ist alleinerziehend und muss Geld verdienen. Man erfährt ihre ganze Geschichte und begleitet sie – das ist heute noch berührend. Und alle wissen schon, dass die Frau am Schluss stirbt. Das ergibt einen ziemlichen Sog. Man weiss, dass man am Schluss ihren Tod sehen wird. Das hat etwas ziemlich Voyeuristisches, und auch das ist heute noch sehr aktuell.
Heutzutage gibt es Opern über alle mögli- chen Themen und Personen, von Alice im Wunderland bis zur Geschichte des Play- boy-Playmates Anna Nicole Smith. Gibt es einen Stoff, von dem Du Dir wünschen würdest, dass jemand eine Oper darüber schreiben würde?
Was für eine schwierige Frage (lacht). Das wäre wohl am ehesten eine Oper über eine Frau in einer Machtposition, eine Politikerin zum Beispiel. Von der man vieles weiss, weil sie in der Öffentlichkeit steht oder stand – und die Oper würde hinter die Fassade schauen und sie als Mensch vorstellen. An- gela Merkel zum Beispiel.
www.ninarussi.ch
 821















































































   79   80   81   82   83