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Die zweite Geburt der Yu Hao
Text und Interview: Maximilian Marti
2002 kam Yu Hao mit einem chinesischen Fernsehteam zum ersten Mal in die Schweiz. Ihr heutiger Ehemann ist Ap- penzeller. Die beiden lernten sich bereits früher in Peking kennen, als Hao an ei- nem Dokumentarfilm für das chinesische Staatsfernsehen arbeitete. 2005 kam sie erneut in die Schweiz, und heute leben die beiden zusammen im Appenzeller- land. Die gebürtige Chinesin betrachtet die Schweiz und ihre Bevölkerung mit wachem Blick und analytischem Ver- stand. Unsere Kultur und Lebensart, die urbanen und ländlichen Traditionen, Sit- ten und Bräuche warfen vor dem Hinter- grund ihrer chinesischen Prägung eine Menge Fragen auf.
Auf einer Studienreise mit ihrem Mann durch Asien verspürte Hao zum ersten Mal in ih- rem Leben ein überwältigendes Gefühl, das sie bisher nicht kannte: Heimweh! Aber zu ihrer Verwunderung nicht etwa nach China, sondern nach Appenzell. Ein Gefühl der Zugehörigkeit, das bis heute anhält und immer stärker wird – so stark, dass Hao jeweils nach wenigen Tagen unterwegs unbedingt zurück will ins Appenzellerland.
Diese Erfahrung löste in ihr eine grundle- gend neue Denkweise aus und einen lan- gen Prozess, der schliesslich genügend Zündstoff lieferte für einen ungewöhnlichen Film, der am 28. November 2019 unter dem Titel «Plötzlich Heimweh» in die Schweizer Kinos kam.
Was kam zuerst: der Wunsch, einen un- gewöhnlichen Film zu drehen, oder die Story dazu?
Hao Hohl-Yu: Weder noch. Als ich damals in die Schweiz kam, sprach ich kein Wort Deutsch. Alles, was ich hier zu sehen und zu hören bekam, löste in mir eine brennende Neugier aus. Wenn ich mich schon nicht verbal verständigen konnte, so wollte ich wenigstens alles bildlich festhalten. Deswe- gen trat ich zu Beginn vor allem über meine Kamera in Kontakt mit meiner Umwelt. Sie ist zu meiner ständigen Begleiterin gewor- den, die noch schweigsamer und ruhiger war als ich. Hinter ihr konnte ich meine Ver- legenheit verstecken. Und auf diese Weise konnte ich meine Eindrücke verarbeiten und so das unbekannte Land, das schleichend zu meiner Heimat wurde, besser kennen und verstehen lernen. Das Leben in einer frem- den Kultur war für mich als Erwachsene wie eine Art zweite Geburt. Ich musste praktisch alles auf Null stellen und neu anfangen.
Was beinhaltet Ihr Film
«Plötzlich Heimweh»?
Während der letzten zwölf Jahre sind mehr als 15 000 Filmminuten entstanden. Ich  lmte lokale Traditionen wie die Alpfahrt und die «Silvesterchläuse», hielt die einzigarti- gen Abendstimmungen im Alpstein fest und porträtierte Menschen, die ich unterwegs kennenlernte. Ich erlebte, wie das Brauch- tum die Menschen verbindet, wie sie sich damit identi zieren. Es wirkt wie ein Magnet, der einen anzieht.
Fasziniert nahm ich an der fremden Kultur teil, gleichzeitig plagten mich zahlreiche Zweifel: Wo ist meine Heimat? Wo fühle ich mich zugehörig? Kann ich tausende Kilo- meter von meiner Familie entfernt glücklich werden? Mit diesen Fragen bin ich in unse- rer globalisierten Welt nicht allein. Meine Mi- grationsgeschichte und meine Suche nach Zugehörigkeit stehen in einem grösseren gesellschaftlichen Kontext, der uns alle etwas angeht. Aus diesem Grund beschloss ich, meine Geschichte mitsamt ihren Höhen und Tiefen zu ver lmen. «Plötzlich Heimweh» ist kein politischer Film, und dennoch soll er die Zuschauerinnen und Zuschauer er- mutigen, aus einer neuen Perspektive über Migration und Integration nachzudenken.
www.ploetzlichheimweh.ch www.hausappenzell.ch
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