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 Feine Bewegungen im Sand
Text und Interview: Thomas Lüthi Foto: Sergio Villalba
Eigentlich dürften «wir» als Binnenländer in dieser Sportart gar nicht so gut sein... Denn wir haben keine Copacabana, kei- nen Venice oder Waikiki Beach, wo es vor über hundert Jahren zum ersten Be- achvolleyballspiel gekommen sein soll. Dafür existiert eine grosse Sehnsucht bei uns Binnenländern nach Strand und Meer – ein Faktor, weshalb dieser Sport hier so populär ist und Beachvolleyball zum Breitensport mit entsprechendem Talentreservoir und Professionalisierung avanciert ist. Einige einheimische Duos haben es an die Welt- oder Europaspitze geschafft – etwa die Lacigas, Egger/ Heyer und Heuscher/Kobel bei den Män- nern und Kuhn/Schnyder-Benoit bei den Frauen.
Seit einigen Jahren sorgt ein weiteres Duo für Furore: Anouk Vergé-Dépré und Joana Heidrich. Sie errangen 2020 im lettischen Jūrmala den Europameistertitel. Darüber freuten sich auch die Klotener – Joana Heidrich ist dort aufgewachsen. Das Ta- lent für Volley- bzw. Beachvolleyball liegt übrigens in der Familie. Florian spielt beim TSV Jona, Adrian Heidrich zählt – genauso wie seine Schwester – zur Weltspitze der Outdoorvariante.
Begonnen hat Joana Heidrich in der Halle, spielte bei mehreren Vereinen, u.a. bei VC Kanti Schaffhausen und TSV Düdingen. Pa- rallel dazu machte sich Joana Heidrich im Beachvolleyball einen Namen, reüssierte in diversen nationalen und internationalen Turnieren. Schöne Erfolge feierte die Klo- tenerin mit ihrer früheren Partnerin Nadine Zumkehr. Das Olympiaturnier in Rio been- deten die beiden auf Platz 5. Ein wesentli- cher Grund für den anhaltenden Erfolg von Joana Heidrich ist die starke nationale Kon- kurrenz – frau pusht sich da gegenseitig. So etwa Forrer/Vergé-Dépré. Als die jeweiligen Partnerinnen zurücktraten, fanden Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré 2017 zu
einem neuen, schlagkräftigen Duo zusam- men. Momentan klettern die beiden die Weltrangliste hoch (aktuell Nr. 8).
Zum Beachvolleyball fand Joana natürlich viel früher. Ein Schlüsselerlebnis war für die damals 12-Jährige der 25. August 2004 ...
Weshalb ist dieses Datum so
zentral für Sie?
Damals gewannen Patrick Heuscher und Stefan Kobel an den Olympischen Spielen in Athen Bronze. Ein extrem spannendes Spiel. Ich fieberte vor dem Fernseher mit und wusste: Das will ich auch.
Doch zum Volleyball haben Sie schon früher gefunden ...
Ja, dank einer Nachbarin in Kloten. Sie sah mir beim Volleyball zu und gab mir den Tipp, mich beim örtlichen Klub anzumel- den. Was ich dann auch tat. Meine Körper- grösse erwies sich dabei als Vorteil. Denn in der Schweiz gibt es nicht so viele grosse Frauen. Von Anfang an hatte ich ein Um- feld, das mich förderte. Doch ohne meinen Ehrgeiz und meinen Willen wäre ich nie so weit gekommen.
Was ist der Hauptunterschied zwischen «normalem Volleyball» und Beach?
Im Sand muss man als Spielerin viel kom- pletter sein. Wenn es mal nicht läuft, kann man sich nicht auswechseln lassen. Und es geht nicht darum, einfach Bälle übers Netz zu hauen. Das kann jeder. Beachvolleyball ist ein sehr technischer Sport, die Feinhei- ten entwickeln wir über Jahre hinweg in jedem Spielelement weiter. Bei den Bewe- gungen kommt es auf jede Nuance an. Diese Nuancen rauszuholen, die Bewegungen «fein zu machen», ist auch für uns ein stän- diger Optimierungsprozess – obwohl wir an der Weltspitze angelangt sind. Gleichzeitig ist unser Sport extrem anstrengend. Wir trainieren deshalb auch viel Kraft, Athletik und Sprünge. Ausserdem muss man im mentalen Bereich stark sein.
Warum ist letzteres bei einem Duo wichtig? Man kann ja nur sich selber beeinflussen.
Das stimmt nur bedingt. Mir ist es wichtig, Anouks Bedürfnisse zu kennen. Damit ich sie unterstützen kann, wenn es ihr mal nicht gut läuft. Umgekehrt gilt das natürlich auch.
Vor drei Jahren mussten Sie wegen einer Verletzung pausieren und sich sogar ope- rieren lassen. Hat sich Ihr Blick auf den Sport dadurch verändert?
Absolut. Ich bin mir viel mehr bewusst, was der Körper alles leistet. Und ich bin aufmerk- samer, was mein Körper braucht. Man lernt extrem viel aus einer Verletzungsphase.
Trainingslager sind zentral in der Vorbe- reitungsphase. Was passiert da?
Es ist wichtig, Beachvolleyball bei Wett- kampfbedingungen zu trainieren. Nicht in der Halle, sondern draussen, bei Wind und Wetter. Nur dann ist das Training auch wirk- lich nachhaltig. In der Schweiz ist Outdoor- training erst ab Mai möglich. Und zu diesem Zeitpunkt hat die Saison längst begonnen. Wenn’s in der Schweiz zu kalt ist, reisen wir an einen warmen Ort. Wir trainieren dort alle Aspekte des Spiels – meistens mit aus- ländischen Duos.
Es gibt Beach-Duos, die sich ausserhalb des Sports aus dem Weg gehen und trotz- dem erfolgreich sind. Wie wichtig ist es für Sie, gut mit Anouk auszukommen? Es ist nicht notwendig, beste Freundinnen zu sein, um Erfolg zu haben. Es ist aber zentral, dass man sich gegenseitig respek- tiert und weiss, dass man die bestmögliche Partnerin an seiner Seite hat, mit demsel- ben Ehrgeiz und denselben Zielen. Und dann gibt es noch einen Grund: Anouk und ich sind rund 300 Tage pro Jahr gemeinsam unterwegs. Ich verbringe mit ihr fast mehr Zeit als mit meinem privaten Umfeld. Da ist es doch einfach viel angenehmer, wenn man sich gut versteht ...
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