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Im Fluss mit Mutter Natur ...
   ... Diese gibt jedem Lebewesen Platz, um zu existieren. Jedem Insekt, jedem Blüemli, jedem Strauch und jedem Menschen. Unseren Gärten sieht man das aber häufig nicht an. Da wird Mutter Natur mit aller Kraft in die Schranken gewiesen und Ausbruchsversuchen konse- quent entgegengetreten – durch Jäten und Rasenmähen. Doch es geht auch anders.
«Was wir im Kleinen machen, macht die Na- tur im Grossen», bringt Patrick Bolinger die Tätigkeit seiner Firma auf den Punkt. Die Artenreich Bolinger Gärten AG plant, baut und pflegt Naturgärten, und dies mit wach- sendem Erfolg – der Betrieb umfasst fünf Jahre nach der Gründung bereits ein zehn- köpfiges Team. Denn «das Bedürfnis nach mehr Nachhaltigkeit und Biodiversität in unseren Gärten wächst und wächst. Das spüren wir deutlich.» Letzterer Begriff
fungiert in Patrick Bolingers Arbeit als Leit- motiv. «Mehr Biodiversität ist bei all unseren Projekten das Ziel.» Doch was bedeutet das?
Wie bei einem «normalen» Gartenbauunter- nehmen beginnt alles mit einem Termin vor Ort: «Ich will meine Kunden kennenlernen und erfahren, wie sie leben. Häufig sind sie unzufrieden mit ihrer Wohn- und Gartensi- tuation, ohne genau sagen zu können, was nicht stimmt.» Wo halten sie sich am liebs- ten auf? Welcher Ort ist ungenützt? Und wo würde man gerne häufiger sein? Auch die Umgebung ist relevant. Wohnt der Kunde in der Natur oder in einem Quartier? Diese Ab- klärungen fliessen ein ins Projekt. Dabei behält Patrick Bolinger etwas im Fokus.
«Wir arbeiten nicht nur mit Pflanzen, Steinen und Wasser, sondern auch mit den Men- schen», so Patrick Bolinger. Denn der Mensch soll sich von der Vorstellung verab- schieden, «seinen» Garten und alles, was darin vor sich geht, kontrollieren zu müssen. Statt die Natur zu domestizieren, lädt man sie zu sich ein und lässt sich auf sie ein. «Eine beim Wegrand gesetzte gelbe Skabiose taucht vielleicht plötzlich beim Sitzplatz auf. Das ist doch eine Freude!» Zudem gibt es in einem Naturgarten neben Pflanzen auch Tiere – die verschiedensten Insekten, Ei-
dechsen, Blindschleichen, vielleicht sogar einen Igel. Wildbienen, die aus einer Tro- ckenmauer heraus die Blumen anschwirren. Die Kunden erleben Natur hautnah. Das hat aber – und das ist jetzt nicht monetär ge- meint – seinen Preis.
Bestimmte Pflanzen «verunmöglichen das», so Patrick Bolinger. So etwa die altbewähr- ten Thuja-Hecken, denn «in Thuja steckt praktisch kein Leben». Und das liebste Grün von Herrn und Frau Schweizer, der militä- risch-gepflegte Rasen, versucht der Arten- reich-Inhaber in den Projekten zu minimie- ren. «Ein gedüngter und vertikutierter Rasen verhindert – bis auf wenige Regenwürmer – Biodiversität konsequent.» Und wie holt man(n) sich dann dieses befriedigende, psychohygienische Gefühl, das einem nach dem Rasenmähen befällt? Dieser feine Ge- ruch von gemähtem Gras, was soll diesen ersetzen? Benötigt ein Naturgarten über- haupt Pflege? «Natürlich», so Patrick Bolin- ger. «Statt mit dem Rasenmäher zu zirkulie- ren, greift man dann halt unter Umständen zur Sense. Man muss sich tatsächlich ein anderes, spezifisches Wissen aneignen.» Die Profis von Artenreich bieten hier eine Art Coaching an. Denn die Unterscheidung zwischen gut (Zuchtpflanzen) und böse (so- genanntes Unkraut) existiert im Naturgar- ten nicht. Es gilt vielmehr zu beurteilen,


























































































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