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Auf den Punkt gebracht
Text und Interview: Maximilian Marti Foto links: Phillip Thöni
Fotos rechts: «The Fall» von Jared Muralt
Die Mitte des 19. Jahrhunderts vom Gen- fer Novellisten und Zeichner Rodolphe Töpffer erfundenen Comics sind heute ein eigenständiges Genre des Litera- tur-Angebots. Vielfältig ausgerichtete Kunstschaffende brachten eine hoch- stehende Kunstform hervor, die in allen relevanten Kreisen höchste Anerken- nung findet. Einer dieser Künstler ist der Berner Illustrator und Comic-Autor Jared Muralt. 2015 mit dem ‹Comicsti- pendium der Deutschschweizer Städte› gefördert, brachte er 2018 den ersten Band einer Serie mit dem Titel ‹The Fall› auf den Markt. Damit erregte er kurz darauf weltweites Aufsehen, weil seine Story am 31. Dezember 2019 zur furcht- baren Realität wurde. 2020 erhielt er in Belgien den Atomium-Comicpreis.
Jared Muralt, haben Sie den Erfolg Ihrer Pandemie-Story vorausgeahnt? Keineswegs. Vor der Kulisse der Klima- veränderung machte ich mir schon lange Gedanken über deren Effekt und deren Bedrohungen, die daraus erwachsen. Da- rauf fokussierte ich, das wollte ich auf den Punkt bringen und so entstand ‹The Fall›. Im Eigenverlag herausgegeben, lief es von Anfang an gut, weil die Story in Bern spielt und weil das Thema uns alle betrifft. Als ich 2016 anfing mit ‹The Fall›, machte die Ebola-Epidemie in Zentralafrika Schlagzei- len. Ich fragte mich, was wäre, wenn etwas Ähnliches hier ausbrechen und ausser Kon- trolle geraten würde. Dabei beschäftigte mich weniger die Ursache, weil ich diese ja nicht definieren konnte, sondern der Effekt, den ich realistisch darstellen wollte. Die- ses Szenario habe ich zu Papier gebracht, ohne zu ahnen, dass die Welt kurz darauf durch ein Virus lahmgelegt wird. Im März 2020 brachte der Verlag Futuropolis meine Serie auf Französisch heraus. Das war eine Woche vor Frankreichs Lockdown. In Frank- reich und Belgien haben Comics einen viel höheren Stellenwert und kulturelle Anerken- nung als hier, was die sofortige Reaktion der dortigen Medien erklärt, die dann auch das helvetische Interesse weckte.
Sie sind vehementer Gesellschafts- kritiker. Wie ist Ihre Stellungnahme zur These, dass das funktionieren unseres globalen Modells scheitern könnte an der schieren Masse der Menschheit?
Dass die Menschheit daran zugrunde geht glaube ich nicht – dass grössere Probleme auf uns zukommen schon, wenn wir weiter fuhrwerken wie bis jetzt. Ohne bewussteren Umgang mit der Natur, mit ihren Ressour- cen und mit uns Menschen gegenseitig sind keine brauchbaren Lösungen in Sicht. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Klima- veränderung auf unserem Planeten noch nie in seiner Geschichte dermassen rasant stattfand. Aktiver Klimaschutz und nach- haltiges Umweltmanagement werden welt- weit immer noch sträflich vernachlässigt. Irgendwann wird die Rechnung kommen. Sie wird jetzt bereits addiert und sehr hoch werden. Darüber, wie hoch, sollten nicht nur Comic-Zeichner nachdenken.
Woher beziehen Sie Ihre Inspirationen?
Aus Überlegungen. Wenn ich lange genug über etwas nachdenke, das mich betrifft – auch indirekt – und berührt, zeichnet sich früher oder später eine Story an und die dazugehörenden Figuren melden sich. Die- sem Vorgang muss ich soviel Raum lassen
wie nachher den Figuren, damit diese sich entwickeln und ihren Weg gehen können.
Aber den bestimmen doch Sie?
Nein, ich stelle ihnen nur die Story zur Ver- fügung, in der sie sich bewegen sollen. Ich will mich ja nicht in meinen Figuren ver- wirklichen, dazu habe ich mein Handwerk. Spannend ist für mich, dass sie manchmal agieren, wie ich es niemals würde.
Was war Ihre bisher grösste Herausforderung?
Mein ungebundenes Dasein als freischaf- fender Künstler und Single freiwillig gegen ein geordnetes Familienleben einzutau- schen. Es war keine einfache, aber die richtige Entscheidung. Wenn ich meine Familie nicht hätte, würde mir ein wesent- licher Teil an wichtigen und wundervollen Erfahrungen fehlen. Hier finde ich den nötigen Rückhalt, der mir genügend Frei- raum lässt, um mich – produktiver denn je – meinem Handwerk mit Elan zu widmen.
Was werden Sie als Nächstes schreiben?
Das weiss ich erst, wenn die Story nach mir ruft, und The ‹Fall› ist ja noch ‹work in progress›.
blackyard.ch
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