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  «Wie löse ich meine Probleme und was lerne ich daraus? Darum gehtʼs doch im Leben!»
Text und Interview: Regula Elsener Steinmann Fotos: Edgar Hernandez
«Ich fühle mich inzwischen fast ein biss- chen verantwortlich für den Schweizer Sommersound», lacht Loco Escrito im Gespräch mit «BEST OF Kanton Zürich». Da hat er – nach Hits wie «Punto» oder «Ámame» – nicht unrecht. Eine gute Nachricht vorweg: Mit «Contigo» steht bereits der nächste Latino-Knaller am Start.
Kein Wunder, denn seine Wurzeln liegen ja in Kolumbien, der Heimat seines Vaters. Aufgewachsen ist er als Nicolas Herzig in Wetzikon im Zürcher Oberland. «Loco escrito» («verrückt geschrieben») nannte ihn früher ein verstorbener Freund, der ihm sehr nahestand. Zu dessen Andenken wurde daraus sein Künstlername. Und den kennt inzwischen das ganze Land: Loco Escrito gehört zu den erfolgreichsten Mu- sikern der Schweiz, seine Songs wurden mehrfach mit Platin, er selbst dreimal mit dem «Swiss Music Award» ausgezeichnet. 2020 war er zudem in der erfolgreichen TV- Show «Sing meinen Song» dabei.
Nun hat er ein neues Album produziert mit sage und schreibe 21 (!) selbstgeschriebe- nen Songs drauf. Aber zum Start eine an- dere Frage, die vielleicht überrascht:
Haben Sie gut geschlafen?
Ja danke. Ich hatte Papatag. Wenn meine kleine Tochter bei mir ist, schlafe ich immer gut.
Sie haben nächmal mal gesagt, dass Ihnen vor dem Einschlafen immer sehr viel durch den Kopf geht und Sie deshalb keine Ruhe finden ...
Ich habe inzwischen gelernt, mich besser ab- zugrenzen. Aber grundsätzlich ist es ja nichts Negatives, wenn mich ein Thema lange und intensiv beschäftigt. Ich brauche manchmal schwere Gedanken, um meine ganz persön- liche Erkenntnis daraus ziehen zu können.
Was oft in Ihre Texte einfliesst. Mich hat das überrascht, da Ihre Musik ja eigentlich sehr locker und fröhlich klingt.
Das ist sie auch! Sehen Sie, ich möchte eine Message, gleichzeitig aber auch ein
gutes Gefühl rüberbringen. Am Anfang der Geschichte steht oft ein Schmerz. Die Ge- schichte selbst dreht sich aber darum, wie ich mit diesem Schmerz umgehe. Mit wel- cher Haltung ich meine Probleme angehe. Wie löse ich sie und was lerne ich daraus? Darum geht’s doch im Leben – und um nichts anderes!
Genau das macht es so schwierig!
Was?
Sie richtig einzuschätzen. Ganz ehrlich: Ich dachte lange, bei Loco Escrito geht’s bloss um Sommer, Strand und Party! Plötzlich merkt man, wie stark Sie sich und Ihr Leben musikalisch reflektieren. Sie wirken sehr geerdet.
Ich denke, das bin ich tatsächlich. Denn ich habe für meine 32 Jahre schon einige Er- fahrungen gemacht, die sehr heftig waren, für die ich aber gleichzeitig dankbar bin. Sie waren meine Lebensschule.
Und da ärgert es Sie nicht, dass viele diese Seite von Ihnen gar nicht sehen? Vorurteile sind etwas Menschliches und haben oft mit der eigenen Unsicherheit zu tun. Im Sinne von: Der trägt eine Jacke, die sonst keiner trägt. Was ist das denn für einer? Ich nehme das niemandem übel, hoffe aber schwer, dass die Leute merken: Der hat mehr zu bieten, als man unter der Haube vermuten würde (lacht.) Beson- ders nach «Sing meinen Song» bekam ich aber viele Reaktionen dieser Art. Die Leute schrieben mir: Hey, du bist ja ganz anders, als ich dachte, deine Worte haben mich überrascht.
Ihr neues Album heisst «Fernando» und ist Ihrem 2021 verstorbenen Papa gewidmet. Sie sagten mal, von ihm hätten Sie gelernt, «gross zu träumen». Inwiefern?
Wissen Sie, es gibt Tage, da schaue ich in den Spiegel, spüre Unsicherheit, fühle mich auch mal überfordert. In solchen Momenten denke ich daran, was mein Papa mir vor- lebte: Etwas wagen, erfinderisch sein, die Werkzeuge nutzen, die man im Leben in die Hand bekommt. Dabei soll man nicht mit einer Säge einen Nagel einschlagen und sich dabei verletzen. Die Säge muss richtig eingesetzt werden! Das heisst für mich als Mensch: «Anelose» und herausfinden, was
meine Bestimmung ist. Ich denke aber, viele wissen schlicht nicht, wovon sie träumen sollen oder machen sich zu viele Gedanken darüber, was andere denken.
Sind deshalb 21 Songs auf ihrem Album und nicht nur zehn oder zwölf?
Ja, da wundern sich mit Sicherheit viele da- rüber. Aber für mich musste einfach jeder einzelne dieser Songs drauf, auch wenn das ungewöhnlich ist. Denn hinter jeder Melodie steckt eine Magie, die hoffentlich ein gutes Gefühl vermittelt. Genau das brauchen wir in Zeiten wie diesen.
Sie spielen neue Songs immer erst Ihrer fünfjährigen Tochter Aisha vor. Was ma- chen Sie, wenn sie mal sagt: «Der gefällt mir nicht»?
Bisher findet sie Papas Musik zum Glück noch die beste der Welt (lacht.) Wir üben im Moment sogar gemeinsam eines der neuen Lieder ein: «Tu Mirada». Vielleicht singen wir das sogar mal an einer Familienfeier.
www.locoescrito.com
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