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 Fahndung nach dem Unbekannten
Text und Interview: Maximilian Marti Fotos: Dominic Büttner
Die Zürcherin Lena-Lisa Wüstendörfer ist beseelt von drei Themen, die sie voll auslebt. Thema Nummer eins ist ihre Leidenschaft für ihren Beruf als Initiantin und Dirigentin des «Swiss Orchestra». Mit instinktivem Verständ- nis für den situativen Antrieb des Kom- ponisten, diese bestimmte Partitur zu schreiben, mit ihrer brennenden Leiden- schaft für klassische Musik und mit der Fähigkeit, mit ihrem Orchester nicht nur die Musik, sondern auch die Gefühlswelt des Komponisten zu offenbaren, will sie neue Wege gehen. Dazu gehört ihre ein- dringliche Körpersprache, mit der sie sich den einzelnen Musizierenden mit- teilt und das Orchester leitet.
Als Dirigentin in der ersten Liga hat sich die Maestra längst auf vielen bedeutenden Bühnen der Welt Respekt und Anerken- nung verschafft. Der zweite Schwerpunkt ist ihr kompromissloses Streben nach Per- fektion. Jedes kleinste Detail wird akribisch auf Tauglichkeit geprüft. Jede Partitur ist zu hundert Prozent einverleibt, damit die Proben, die aus finanziellen Gründen zeit- lich beschränkt sind, optimale Ergebnisse bringen.
Das dritte Thema ist ihre Suche nach we- nig oder gar nicht bekannten Schweizer Komponisten, deren vergessene Musik sie zusammensucht und zu neuem Leben erweckt. In ihrer Freizeit liest die Maestra gerne Kriminalromane – wen wundert es also, dass sie selber in Archiven, Antiqua- riaten, Konservatorien und Universitätsbi- bliotheken herumstöbert und nach unbe- kannten Trouvaillen fahndet?
Frau Wüstendörfer, in Ihrer Wohnung prangt das Statement «Ich schmeiss alles hin und werde Prinzessin». Warum ist das nicht geschehen?
Weil Plan A so gut funktioniert hat. Mein Traumziel war immer, Dirigentin zu werden. Musik ist mein Leben, sie fesselt mich. Im Besonderen interessieren mich zwei As- pekte: Bekanntes neu zu interpretieren und Altes zu erforschen, zu finden, zu erwecken und dem Publikum zu präsentieren.
Warum sind Ihnen unbekannte Schweizer Komponisten so wichtig?
Im Ausland, besonders in Asien, wurde ich immer wieder nach Schweizer Komponis- ten gefragt, um Vergleiche zu ermöglichen. Das hat in mir den Wunsch geweckt, alles zu finden, was verschollen ist und ein Reper- toire mit Schweizer Sinfonikern zusam- menzustellen, das bisher noch fehlte. Ich
liebe diese Detektiv- Arbeit, Spuren zu ent- decken, zu verfolgen und schliesslich fün- dig zu werden. Nach drei Jahren Arbeit kamen bereits einige unserer Brahms- und Beethoven-Zeitge- nossen aus der Klas- sik und Romantik zu Ehren, und dieses Abenteuer hat erst begonnen.
Was war 2018 der Auslöser zur Gründung des «Swiss Orchestra»?
Das schiere Bedürfnis, die verlorenen Schweizer Orchesterwerke wieder erlebbar zu machen. Zum musikalischen Brücken- schlag zwischen den Sprachregionen woll- ten wir von Anbeginn mit unseren Konzerten schweizweit präsent sein. Bestehend aus erstklassig musizierenden Mitgliedern aus allen Landesteilen bilden wir einen dynami- schen Klangkörper voller Entdeckergeist.
Welche Projekte sind zurzeit in Bearbeitung?
Auch wir wurden durch die weltweite Pan- demie ausgebremst, öffentliche Auftritte sind nach wie vor in Frage gestellt. Natürlich proben wir fleissig, auch unter erschwerten Umständen. Woran wir intensiv gearbeitet haben, ist eine CD mit Kompostionen aus der Schweizer Romantik. Wir sehnen uns danach, wieder für unser Publikum spielen zu dürfen, sobald sich der Vorhang wieder hebt.
swissorchestra.ch
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