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 Thomas Meyer – Durchbruch mit Wolkenbruch
Text und Interview: Bianca Ritter Foto: Joan Minder
Michael Steiners Film «Wolkenbruch» war 2018 die erfolgreichste Schweizer Produktion und ist das erste Schweizer Werk, das auf Netflix gezeigt wird. Story und Drehbuch entstammen der spitzen Feder des Zürchers Thomas Meyer, dem mit dieser steilen Romanvorlage der Durchbruch gelang. Wir reden im Folgen- den Tacheles mit dem Autor.
Thomas Meyer, Ihre Mail-Adresse lautet tacheles@thomasmeyer.ch. Mit wem und weshalb würden Sie gerne mal Tacheles reden?
Mit dem Bauernverband, der es völlig in Ord- nung findet, dass die Schweizer Landwirte unser Grundwasser massiv mit Gülle und Pestiziden verseuchen. Publizieren Sie immer die Mailadressen Ihrer Gesprächspartner?
Nein, nur wenn diese einen dazu verleiten und inspirieren ... Weiter im Text, Thema Wolkenbruch. Wie denken Sie heute, drei Jahre nach dem Erfolgsfilm, über Ihr bis dato berühmtestes Werk?
Ich bin natürlich sehr glücklich, dass alles so gekommen ist. Von sowas träumt jede*r Autor*in. Und tatsächlich schwebt dieser Erfolg immer wie eine kleine Sonne über mir. Ich bin dankbar. Das sind meine Gedanken.
Sie wirkten als Texter in Werbeagenturen und wirbelten als Reporter in Redaktio- nen. Was bewog Sie 2012 zur Selbststän- digkeit als Schriftsteller?
So war das nicht. Ich habe vielmehr dieses Buch geschrieben und gehofft, dass der Sa- lis Verlag, dem ich es vorlegte, es publizieren würde. Danach hoffte ich, dass es Erfolg ha- ben würde. Und danach hoffte ich, dass ich vom Schreiben würde leben können. All das ist nicht selbstverständlich. Ich habe diesen Weg nicht im Sinne einer Entscheidung ge- wählt. Ich habe ihn versuchsweise beschrit- ten und Glück gehabt damit.
Sie sind kritisch, hinterfragen das Zeit- geschehen. Nehmen wir als Beispiel das Buch «Was soll an meiner Nase bitte jü- disch sein?», wo Sie über den Antisemi- tismus im Alltag berichten. Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?
Ich höre oft, ich hätte eine «jüdische Nase», was auch vor allem deshalb absurd ist, weil sie überhaupt nicht dem Klischee des rie- sigen Zinkens entspricht. Ja, und natürlich das Geld... da gibt es auch immer wieder dumme Bemerkungen. Es hört leider ein- fach nicht auf.
Ich habe gelesen, dass Sie sich jeden Tag darüber freuen, Schriftsteller zu sein. Ganz profan gefragt: Warum?
Weil es eine schöne Arbeit ist. Weil sie mich und andere erfreut. Weil sie andere berührt – vor allem das Buch «Trennt euch!». Weil ich dadurch unabhängig sein kann. Und weil ich nicht in einem Team arbeiten muss. Das liegt mir überhaupt nicht.
Auf Ihrer Webseite sympathisieren Sie mit den Grünen, der GSoA und der Vega- nen Gesellschaft. Ernähren Sie sich auch vegan? Wie und wo setzen Sie sich für Menschenrechte und jene der Tiere ein? Diese Gruppierungen vertreten Anliegen, die mir wichtig sind: Umweltschutz, Tier- schutz, Schutz der Menschenrechte. Und ja, ich lebe seit langem vegan. Aber darf man das schon als einen Einsatz für die Rechte der Tiere bezeichnen? Da gibt es wirklich engagiertere Leute.
Die NZZ schrieb in einer Kritik über das Buch «Wolkenbruchs waghalsiges Stell- dichein mit der Spionin», man fühle sich in der Kompromisslosigkeit an Sacha Baron Cohen erinnert. Sie und Borat? Passt das?
Die NZZ sagte Cohen, nicht Borat. Mich hat der Vergleich sehr geehrt.
Welche Schauspieler oder Filmemacher bevorzugen Sie? Und weshalb genau diese?
Ich schätze es, wenn es Filmen und Se- rien gelingt, gleichzeitig lustig zu sein und dennoch ernsthafte Themen zu behandeln. «How I Met Your Mother» ist so ein Fall. Und ich mag es, wenn die Illusion perfekt ist. Wenn ich keine Sekunde lang merke, dass da etwas gespielt wird, inmitten von Kame- ras und Mikrofonen und Scheinwerfern.
Haben Sie andere Steckenpferde, z. B. die Musik? Wenn ja, welche Musiker haben Sie bisher erfolgreich begleitet?
Ich höre immer wieder mal was anderes. Elektronische Musik begleitet mich aber seit den frühen 1990er-Jahren. Wen es in- teressiert: Auf bandcamp.com/blitzbrief ist ein Teil meiner Sammlung zu finden. Und ich fotografiere sehr gern. Vor allem in der Dunkelheit.
Sie sind auch – ganz trendy – Podcaster. In «Meyer trifft Mediziner» begegnen Sie Menschen aus der Medizin und unterhal- ten sich mit ihnen über ihre Arbeit und das Leben an sich. Warum gerade Mediziner? Das Projekt wurde so an mich herangetra- gen. Ich fand die Medizin aber immer schon faszinierend, daher habe ich sofort zuge- sagt. Eines meiner Lieblingsbücher ist «Das Jahrhundert der Chirurgen». Ich habe selten etwas Spannenderes gelesen.
Und wenn wir gerade beim Thema sind ... Glauben Sie an die Schulmedizin? An Impfungen?
Ich finde es bemerkenswert und höchst be- unruhigend, dass das tatsächlich eine Glau- bensfrage geworden ist. Man ist entweder pro Schulmedizin und dann komplett contra alternative bzw. östliche Medizin oder um- gekehrt. Dass man in beiden Bereichen Hilfe finden kann, scheint nicht erlaubt – man hat sich zu entscheiden. Diese Polarisierung verstehe ich nicht. Ich vertraue der Schul- medizin, habe aber auch mit Homöopathie und TCM sehr gute Erfahrungen gemacht.
So, noch der Blick nach vorn: Auf wel- ches Buch dürfen sich Ihre Fans aktuell freuen? Können Sie schon verraten, wo- rum es gehen wird und wann das neue Oeuvre erscheint?
Sie haben es bereits erwähnt: Der Essay «Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?» erscheint Ende März im Salis Verlag. Aktuell arbeite ich an einem neuen Dreh- buch zum Thema Trennungen. Was danach kommt, wissen die Musen.
Lieber Herr Meyer, besten Dank für das spannende und pointierte Interview.
www.thomasmeyer.ch
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