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  All that wonderful Jazz ...
Text und Interview: Maximilian Marti Fotos: Andreas Zihler
Die junge Geschichte der USA weist unrühmliche Schandflecke auf, aber etwas Heilvolles ist aus dieser Zeit her- vorgegangen: der Jazz. Diese Musikrich- tung entstand in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts auf den Baumwoll- feldern der Südstaaten. Der Mix aus Work-Songs, Spirituals, Blues und Gos- pel der Sklaven mutierte im Lauf der Zeit unter vielfältigen Stil-Einflüssen (Bor- der-Music, Folk, Marschmusik etc.) zur etablierten amerikanischen Kunstform.
Das Wesen des Jazz ist schwierig zu definie- ren. Ein grenzenloser stilistischer Freiraum, gepaart mit ebenso grosszügig akzeptierten Interpretationsmöglichkeiten der Themen, dazu die Vielfalt der verwendbaren Instru- mente und das charakteristische Element der Improvisation machen den Jazz zum idealen Tummelplatz für Individualisten. Im Lauf seiner Entwicklung haben grosse Na- men unterschiedliche Strömungen hervor- gebracht. Leute wie Louis Armstrong, John Coltrane, Ella Fitzgerald, Miles Davis, Duke Ellington, Billie Holiday, Benny Goodman, Dizzy Gillespie, Oscar Peterson, Django Reinhardt, Chet Baker, Gene Krupa und viele andere machten Jazz zu der Ausdrucksform, die auch ein vom Schlager geprägtes Publi- kum bei uns in Europa fasziniert.
Längst ist Jazz zu einem anerkannten kul- turellen Bestandteil des Lebens geworden. Mittlerweile kann diese Musikform auch an Musikhochschulen studiert und praktiziert werden. Ausgewiesene Lehrkräfte geben ihr Können an Studierende weiter, an eine Generation, die den Jazz auf einer Etappe seines ewigen Lebens begleiten und be- reichern wird. Einer dieser Mentoren ist Adrian Frey, international tätiger Musiker und Professor für Jazz an der Hochschule der Künste in Zürich.
Herr Frey, warum haben Sie sich als Mu- siker für den Jazz entschieden?
Ich bin in einem musizierenden Haushalt auf- gewachsen, in einer Marinade aus Jazz, Im- provisation und klassischer Kammermusik. Ich habe Klassik studiert, merkte aber früh, dass Jazz meinem Naturell eher entspricht,
weil ich hier meinen Freiheitsdrang mit dem Improvisieren total ausleben kann. Die klas- sische Musik ist für mich natürlich immer ein Ort, wo ich mich hinbegeben und wun- derbare Erlebnisse haben kann. Als eigene Ausdrucksform liegt mir aber der Jazz näher. Mir gefällt die Art des Zusammenspiels und wie man mit verschiedenen Mitmusikern die Songs immer wieder neu entstehen lassen kann. Es lassen sich auch Stücke aus dem Moment heraus neu entwickeln – ein wahres musikalisches Abenteuer.
Warum ist Jazz im Vergleich zu anderen Genres nicht ebenso verbreitet?
Eine vielschichtige Frage. Ich wünschte mir, dass er viel verbreiteter wäre, es ist eine fantastische Musikform, bei der so viel Platz hat! Nun, wie bei anderen Strömungen ist es wohl auch hier so, dass die Popularität wel- lenmässig kommt und geht. Im Moment sind elektronische Musikstile sehr «in», akustisch gespielte Musik, wie ich sie am liebsten mache, ist eher ein Nischenprodukt.
Aber wenn man berücksichtigt, wie viele Ele- mente des Jazz andere Musik mitprägen – Rap ist ein gutes Beispiel – , ist seine Präsenz grösser, als die Wahrnehmung vermuten lässt. Jeder Stil hat seine Blütezeit und lebt dann mehr oder weniger prominent weiter als Mitträger unseres Kulturguts.
Wenn Sie Ihre Debut-CD «Adrian Frey Trio» von 1995 vergleichen mit der eben erst erschienenen «CYCLE OF LIFE», was sind die auffälligsten Unterschiede? Generell konnte ich meinen Zugang zur Musik vertiefen und meine Technik wei- ter verbessern. Zusammen mit den vielen bereichernden Begegnungen mit Musizie- renden auf der ganzen Welt ist das zum Rüst- zeug geworden, das ich jetzt zur Verfügung habe als Lehrer und Musiker. Es gibt nichts Schöneres für mich, als mit guten Leuten auf der Bühne zu stehen, ein Thema zu wählen und mal zu schauen, wohin der improvisierte Weg uns führt. Wenn dann der Funke auf das Publikum überspringt und Musizierende und Zuhörende zur Einheit werden, ist der Moment perfekt. Das ist Jazz, das ist meine Welt und mein Leben.
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