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 «So viel Freiheit und Unabhängigkeit hatte ich früher nicht»
Text und Interview: Regula Elsener Steinmann Foto linke Seite: Lukas Schweizer
Foto rechte Seite: Alberto Venzago
Wahnsinn! Der Mann stand für über 200 Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera, war auch als Produzent und Drehbuchautor tätig – und gehört sicher zu den bekanntesten Schweizer Persön- lichkeiten im ganzen deutschsprachigen Raum: Stefan Gubser.
Dabei fing er – wie die meisten Schauspieler – beim Theater an, spielte u.a. am Burgthea- ter Wien oder im Residenztheater München. Bekannt wurde er Ende der 80er als Kom- missar Miguel Bernauer in der Krimireihe «Eurocops». Ab 2008 spielte er über zehn Jahre lang den Reto Flückiger im «Tatort»: zuerst für die ARD am Bodensee, danach für das Schweizer Fernsehen in Luzern.
Die 17. und letzte Folge mit Stefan Gubser in der Hauptrolle lief im Herbst 2019. Kurz nach seinem «Tatort»-Abschied erklärte er in einem Interview: «Nun mache ich nur noch, was mir Spass macht.» Da müssen wir doch mal nachfragen.
Und? Haben Sie Ihren Vorsatz eingehalten?
Stefan Gubser: Oh ja! Ich habe mich fast ausschliesslich um meine Bühnenprojekte und Lesungen gekümmert, dafür hatte ich nun viele Jahre nie richtig Zeit. Sie sind teil- weise sehr anspruchsvoll und brauchen in der Entwicklung viel Zeit.
Zusammen mit Ihrer Schauspielkollegin Regula Grauwiller gründeten Sie zudem die Firma «Wortspektakel». Wie kam das? Ich kenne Regula seit vielen Jahren. 2018 flogen wir für einen gemeinsamen Film nach Schweden. Da erzählte ich ihr von meinem Projekt, die Geschichte des früheren Kunst- fälschers Wolfgang Beltracchi und seiner Frau Helene als szenische Lesung auf die Bühne zu bringen. Ich wusste: Regula ist perfekt für die Rolle der Helene. Sie war sofort begeistert. Da reifte die Idee, auch andere Projekte gemeinsam zu entwickeln.
Und welches Spektakel rund um das Wort bieten Sie beide denn?
Ganz unterschiedliche. Auf äusserst positive
Resonanz stiess etwa das «Lesedinner»: Hier ge- niessen Gäste in einem Restaurant ein 5-Gang- Menü und wir inspirie- ren sie dazwischen mit scharfzüngigen, humor- vollen Szenen aus dem Theaterstück «Glück» von Eric Assous. In den Ham- burger Kammerspielen werden wir zudem das Stück «Die Deutschleh- rerin» aufführen. Leider mussten wir alles auf Eis legen. Wie alle Kultur- schaffenden wurden auch wir von Covid-19 komplett ausgebremst.
50 Jahre Frauenstimmrecht – eine Geschichtslektion mit Unterhaltungs- wert: «Weiber sind auch Menschen» mit Regula Grauwiller und Stefan Gubser im Zürcher Bernhard-Theater. Premiere ist am 13. Juni 2021. Tickets gibt’s schon jetzt online.
 Nutzen Sie die «Zwangspause», um weitere Konzepte zu entwickeln?
Ja, da entsteht einiges – auch aus der Situ- ation heraus. Von grossen Veranstaltungen spricht derzeit niemand. Daher ist unsere aktuelle Idee: Die Zuschauer kommen nicht zu uns, sondern wir zu ihnen! Ein gediegener Kulturanlass im kleinen Rahmen – «Home- Culture» gewissermassen! (er lacht) Nach «Homeoffice» und «Homeschooling» passt das doch.
In den vergangenen Jahren traten Sie auch vermehrt als Sprecher von Klassik- Veranstaltungen auf, etwa im Opernhaus und der Tonhalle Zürich oder auch am Yehudi Menuhin-Festival in Gstaad. Keine Lust mehr auf wilde Verfolgungsjagden und Schiessereien?
Nun ja, bei einem wirklich guten Drehbuch würde ich gerne wieder in einer anspruchsvol- len Rolle vor der Kamera stehen. Die seichte Unterhaltung liegt mir jedoch gar nicht mehr. Ich brauche den Kick, mich immer wieder neu erfinden zu können. Wie Horst Tappert fast 30 Jahre lang den «Derrick» zu spielen, wäre für mich nie in Frage gekommen.
Sie waren nun jahrzehntelang auf die Gunst einzelner Regisseure und Produ- zenten angewiesen. Es scheint, als woll- ten Sie sich davon endgültig befreien ... Genau das ist der springende Punkt! Ich möchte nicht mehr ein fertiges Dreh- buch in die Hand bekommen, sondern
mitbestimmen, welchen literarischen Stoff wir anpacken und wie wir ein Stück, eine Erzählung oder Gedichte von Rainer Maria Rilke umsetzen. So viel Freiheit und Unab- hängigkeit hatte ich früher nicht.
Aus finanziellen Gründen?
Ja, ich wurde mit 23 Jahren Vater, war damals ein noch unbekannter junger Schauspieler und konnte mir nicht erlauben, wählerisch zu sein. Das darf ich heute zum Glück eher.
Ich getraue mich fast nicht, es anzu- sprechen, aber 2022 werden Sie offiziell pensioniert. Macht dieser Gedanke Ihnen Bauchweh?
Nein!
Hoppla, das kam jetzt aber sehr spontan ...
Es beschäftigt mich überhaupt nicht. Als Schauspieler macht man ohnehin so lange weiter, wie man kann und will. Mit der wun- derbaren Stephanie Glaser drehte ich noch kurz nach ihrem 90. Geburtstag. Wissen Sie (er macht eine Pause und schmunzelt), die- ses «Pensioniertsein» kommt in meinen Gedankengängen irgendwie gar nicht vor. Abgesehen davon: Meine Tante ist 98 und lebt noch allein in einem zweistöckigen Ein- familienhaus. Und mein Vater starb mit 101. So Gott will, habe ich also noch viel Zeit zum Arbeiten (lacht).
www.wortspektakel.ch www.stefangubser.com
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